BGH Thermofenster- Sittenwidrigkeit i.S.d. § 826 BGB?
Was ist ein Thermofenster?
Ein Thermofenster ist eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems. Es handelt sich um eine Abschalteinrichtung, welche die Rückführung der Abgase herunterfährt, sobald die Außentemperatur außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs (in der Regel ca. 15 bis 30 Grad) ist. Ist die Außentemperatur über bzw. unter dem Wert, wird die Abgasrückführung per Computer heruntergefahren.
Entscheidung BGH (BGH VI ZR 433/19)
Mit Beschluss vom 19.02.2021 stellt der BGH klar, dass der Einsatz eines Thermofensters alleine noch keinen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB begründet. Der BGH führt hierzu aus, dass das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Person nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren ist, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einem Thermofenster ausstattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten an sich ist nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, dass nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Es muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Ein arglistiges Verhalten kann bei dem Einsatz von Thermofenstern nicht unterstellt werden und letztlich kann damit keine Sittenwidrigkeit begründet werden. Das Thermofenster unterscheidet gerade nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Das Thermofenster weist keine Funktion aus, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen in gleicher Weise.
Der BGH führt weiter aus, dass der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit in § 826 BGB gegeben sein kann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Person als besonderes verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme der Sittenwidrigkeit setzt voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Thermofenster in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Damit kann eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB nicht alleine durch den Einsatz eines Thermofensters begründet werden, aber wohl wenn der Kläger hinzutretende Umstände nachweisen kann, die eine besondere Verwerflichkeit begründen.